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Werraquelle
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Zu dem als Werraquelle bekannten Ort führt von der Stelle, an der von 1846 bis zum Frühjahr 2004 der von Vandalen zerstörte Dreiherrenstein auf der Hohen Heide am Rennsteig stand, in etwa einer Viertelstunde ein neu angelegter, mit Hackschnitzeln bestreuter bequemer Fußweg hinab durch teils morastigen Hangwald.
Die Quellfassung
1897 wurde die Quelle der Werra, die sich nach 298 km mit der Fulda zur Weser vereinigt, gefasst und dem Wasser durch das Maul eines Löwenkopfes der Weg ans Tageslicht gebahnt.
In der Festschrift zur feierlichen Einweihung hatte Dr. Ludwig Hertel, der Gründer des Rennsteigvereins, den bei Tacitus als Visurgis erstmals auftauchenden Flussnamen nach den Lautverschiebungsgesetzen aus Wisos-aha, d.i. „Wiesenfluss“ abgeleitet. Die spätere Aufspaltung in die Formen Weser und Werra erklärte Hertel damit, dass sich der niederdeutsche Sprachraum an die altdeutsche Form Wisera gehalten habe, während in Thüringen durch bestimmte Lautwandlungen der Name Werra entstanden sei.
Am 23. August 1925, vormittags zwischen neun und zehn Uhr, wurde in einer Weihestunde die Urne mit der Asche des Schöpfers der Anlage, des Forstmeisters Schröder, nach einer Gedächtnisrede von Pfarrer Dr. Traue aus Masserberg durch einen nicht bekannten Beauftragten in der Nähe der Werraquelle im Wald an einer Stelle vergraben, die ebenfalls nicht bekannt war und es auch nicht werden sollte. Später wurde für Schröder eine eiserne Gedenktafel neben dem Löwenkopf angebracht, für den Bauführer Elias Traut hatte man solches bereits getan.
In diesen weihevollen Kelch muss freilich ein dicker Wermutstropfen fallen: Der Naturschützer wird derartige Quellfassungen stets mit Bauchschmerzen betrachten. Das empfindliche inselartige Biotop, das jede natürlich entspringende Quelle verkörpert, wird durch diesen Eingriff praktisch unwiederbringlich zerstört. Die seltenen Organismen eines Quellbiotops, meist unscheinbar klein und deshalb wenig beachtet, können sich selbst nach einer Renaturierung der Quelle erst nach sehr langer Zeit wieder einfinden, besteht doch zur nächsten Quelle keine für sie nutzbare Verbindung.
Nun ja, auch der Naturschützer wird wohl zugestehen müssen, dass im Falle der Werraquelle das berechtigte Interesse der Allgemeinheit an Kenntlichmachung und ansprechender Präsentation des geografisch bedeutsamen Ortes gegenüber dem Naturschutzinteresse schwerer wiegt.
Der Streit um die Werraquellen
Mit der Quellfassung von 1897 war freilich nur einer der beiden Werraquellen ein standesgemäßes Tor zur Welt geöffnet, was den Streit um die „echte“ Werraquelle wieder entfachte, der erstmals 1648 aktenkundig geworden war. Mit der hier in Rede stehenden „vorderen“ oder „nassen“ konkurriert nämlich die 9 km weiter östlich am Blessberg entspringende „hintere“ oder „trockene“ Werra um die Ehre der Weserelternschaft. Hertel hatte für die nasse Werra als eigentlichen Quellfluss argumentiert „wegen ihrer Unversieglichkeit, des längeren Arms und vor allem der altertümlichen Bezeichnung Werragrund“, während das am Blessberg austretende Gewässer durch den Saargrund abfließt.
So war der Streit auch offiziell schon bei der ersten Ausgabe der Messtischblätter in den 1870er Jahren entschieden worden, in denen der am Sommerberg entspringende Wasserlauf mit Werra, der am Bless dagegen mit Saar angegeben war.
Mit dem Entscheid der Kartografen wollten sich freilich die Siegmundsburger Lokalpatrioten nicht zufrieden geben. Auch die Saarquelle wurde gefasst (1910) und zum Ursprung der Werra erklärt. Die Fehde erhitzte noch bis 1926 die Gemüter, als diese Quellfassung von Lokalpatrioten der Gegenpartei zerstört wurde. Erst der Sozialismus hieb 1975 den Knoten durch: Per Ministerbescheid wurde die Werraquelle am Sommerberg als die geografisch gültige bestätigt.
Doch mit der politischen Wende brach der Streit erneut aus: 1991/92 wurde die Saarquelle prompt neu gefasst und auf den Namen – „Werraquelle“ getauft! Außer der neuen Quellfassung wurde eine Tafel mit der stolzen Aufschrift „Werraquelle 800 m ü.NN“ angebracht.
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Die Quellfassung
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Tafel links
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Tafel rechts
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Die „hintere" Werraquelle bei Siegmundsburg am Blessberg
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Werraquellenbaude
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Die Höhenangabe ist nicht ohne Bedeutung bei dem Streit um die Werraquellen, liegt doch die Siegmundsburger Quelle um mehrere Meter höher als die drüben am Sommerberg...
Erfrischung bieten beide Werraquellen bereits durch ihr klares kühles Wasser. An der „vorderen“ Werraquelle lädt jedoch auch eine Gaststätte zum Verweilen ein.
Die „Werraquellbaude“, in der bewährten Finnhüttenbauweise errichtet, hält an einer Verkaufstheke vor ihrem Erdgeschoss neben den üblichen Thüringer Grillspezialitäten vom Rost auch Bier und diverse weitere kalte Getränke, außerdem Kaffee und selbst gebackenen Kuchen bereit.
Eine kleine gemütliche Gaststube befindet sich im Obergeschoss. Sie wird gerne frequentiert von Ski-Langläufern und ist daher zumeist in der Ski-Saison ab Mitte Dezember geöffnet.
Auf jeden Fall empfiehlt sich vor dem Besuch ein telefonischer Anruf, wegen der Öffnungszeiten und „bitte auch bei größeren Gruppen, damit wir rechtzeitig Bratwürste auf den Rost legen können“, bei:
Familie Müller, Tel.: 036870/ 5 04 66, Rauchgründlein 2, 98666 Fehrenbach.
Selbstverständlich ist im oben erwähnten Streit die Wirtin der „Werraquellbaude“ Partei. So verwundert es niemanden, dass sich am Lokal ein Aushang mit weiteren Argumenten für die vordere als „richtige“ Werraquelle befindet:
Die Fehrenbacher Werraquelle müsse schon aus geologischer Sicht die richtige sein, „da unmittelbar in ihrem Ursprung eine Bruchlinie zwischen dem Rotliegenden und den Katzhüttenschichten verläuft und somit die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass hier Wasser aus sehr großer Tiefe an die Oberfläche tritt und das sicherlich schon seit Jahrtausenden."
Dagegen liege die Quelle der Saar (gemeint ist die konkurrierende Quelle) „unmittelbar in der geologischen Formation der ‚Frauenbacher Serie’“. Es sei außerdem „verwunderlich, wenn ein Bach namens ‚Werra’ durch ein Tal fließt, welches Saargrund genannt wird".
Soweit die Argumentation der Fehrenbacher Seite. Es wurde bereits der vergebliche Versuch unternommen, den Streit dadurch zu beenden, dass man einfach beide in Frage stehenden Quellen als Ursprünge der Werra deutet...
Ullrich Göbel
Quellen (des Textes!):
- Dr. Stefan Etzel, Wandern auf dem Rennsteig, 2. aktualisierte Aufl. 2004, Dumont-Verlag Köln
- J. Bühring / L. Hertel, Der Rennsteig des Thüringer Waldes, 3. Aufl., Zeitz 1930
- DAS MAREILE, Bote des Rennsteigvereins, XIII. Reihe, Ruhla, 1925-1926
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